21. November 2024
Über 40% der Deutschen sind übergewichtig und ein Fünftel leiden unter Adipositas. In den letzten Jahren sind neue Arzneimittel, oft bezeichnet als "Abnehmspritzen", auf den Markt gekommen, die Abhilfe versprechen. Wir geben dir hier einen Überblick über das aktuelle Angebot, wie sie funktionieren und mögliche Nebenwirkungen.
Die aktuell auf dem Markt verfügbaren Abnehmspritzen beinhalten Wirkstoffe, die als GLP-1-Analoga bezeichnet werden. Sie haben die folgenden Wirkungen:
Seit mehr als einem Jahrzehnt werden GLP-1-Analoga eingesetzt, um Menschen mit Typ-2-Diabetes bei der Kontrolle ihres Blutzuckerspiegels zu helfen. Durch die Wirkung der GLP-1-Analoga nehmen Anwender allerdings auch schnell an Gewicht ab und daher werden sie neuerdings auch zur Gewichtsabnahme verschrieben.
Abnehmspritzen gibt es mit den Wirkstoffen Semaglutid, Liraglutid und Tirzepatid. Diese Stoffe imitieren die Wirkung eines Hormons namens GLP-1 (Glucagon-like Peptide-1) und werden als GLP-1-Rezeptor-Agonisten oder auch GLP-1-Analoga bezeichnet, da sie an die Rezeptoren des Peptidhormons GLP-1 agonistisch binden. Agonistisch bedeutet, dass die Signalstransduktion aktiviert wird. Tirzepatid bindet zusätzlich noch agonistisch an die Rezeptoren des glucoseabhängigen insulinotropen Peptid (GIP).
Der Körper synthetisiert GLP-1 natürlicherweise im Darm und setzt es während der Nahrungsaufnahme in den Blutkreislauf frei um die oben genannten Effekte im Gehirn, Magen und Bauchspeicheldrüse auszlösen. Anschließend wird GLP-1 innerhalb von Minuten im Körper abgebaut und muss daher immer wieder neu produziert werden. Im Unterschied dazu werden die GLP-1-Analoga nur langsam abgebaut und müssen daher nur täglich oder sogar nur wöchentlich gespritzt werden, um kontinuierlich ihre Wirkung zu erhalten.
Für die Zulassung der Abnehmspritzen führten die Hersteller einige Studien durch in denen Patient:innen in einem bis eineinhalb Jahren zwischen 8% und 17% ihres Körpergewichtes verloren. Während der Studien hatten die Patient:innen auch ihren Lebensstil verändert. Sie hatten sich mehr bewegt und weniger Kalorien zu sich genommen. Allerdings zeigen die Studien auch, dass ein Absetzen der Abnehmspritze meist mit einer Gewichtszunahme einhergeht. In der STEP-1 Studie nahmen die Teilnehmer mit Semaglutid nach 68 Wochen durchschnittlich 17.3% ihres Körpergewichts ab[1]. Nach dem Absetzen von Semaglutid nahmen sie allerdings anschließend wieder durchschnittlich 11.3% ihres Körpergewichts zu (siehe Grafik)[2]. In der STEP-4 Studie nahmen die Teilnehmer durchschnittlich 11% ihres Gewichts in den ersten vier Monaten ab. Ein Teil der Teilnehmer wechselte anschließend zu einem Placebo und während die anderen Teilnehmer mit der Abnehmspritze weiter abnahmen, nahmen diese Teilnehmer wieder 7% ihres Anfangsgewicht im folgenden Jahr zu (siehe Grafik)[3].
In einer Substudie von STEP 1 (N = 140) wurde die Körperzusammensetzung mittels Dual-Röntgen-Absorptiometrie (DEXA) gemessen. Die Ergebnisse der DEXA-Messung zeigten, dass Teilnehmer zusammen mit der Fettabnahme auch durchschnittlich 9.7% ihres fettfreien Körpergewichtes abnahmen. Eine Behandlung mit Semaglutid geht daher auch mit der Abnahme der Muskelmasse einher. Die Ergebnisse zeigten jedoch, dass die Behandlung mit Semaglutid zu einer stärkeren Reduktion der Fettmasse im Vergleich zur fettfreien Körpermasse führte, was nach 68 Wochen zu einer verbesserten Körperzusammensetzung im Vergleich zu Placebo führte. Diese Reduktion der Gesamtfettmasse war zudem mit einer Verringerung der viszeralen Fettmasse verbunden. Dies weist darauf hin, dass der größte Teil des Gesamtgewichtsverlustes auf eine Reduktion des Fettgewebes, einschließlich der viszeralen Fettmasse, zurückzuführen ist.
Zur Zeit sind in Deutschland die Spritzen von Novo Nordisk (Dänemark) und Eli Lilly (USA) erhältlich. Neue Hersteller, vor allen Dingen aus China, haben allerdings angekündigt in der nahen Zukunft weitere Produkte auf den Markt zu bringen.
Hier sehen Sie eine aktuelle Übersicht der Produkte und ihre Zulassungsbedingungen in Deutschland.
Hersteller | Markenname | Zugelassen bei | Wirkstoff |
---|---|---|---|
Novo Nordisk | Ozempic | Diabetes Typ 2 | Semaglutid |
Novo Nordisk | Wegovy |
Übergewicht (BMI > 27) + gewichtsbedingte Erkrankung
Adipositas (BMI > 30) |
Semaglutid |
Novo Nordisk | Victoza | Diabetes Typ 2 | Liraglutid |
Novo Nordisk | Saxenda |
Übergewicht (BMI > 27) + gewichtsbedingte Erkrankung
Adipositas (BMI > 30) |
Liraglutid |
Eli Lilly | Mounjaro |
Diabetes Typ 2 Übergewicht (BMI > 27) + gewichtsbedingte Erkrankung Adipositas (BMI > 30) |
Tirzepatid |
Ozempic beinhaltet den Wirkstoff Semaglutid. Es ist nur für die Behandlung von Diabetes Typ 2 zugelassen und nicht für die Behandlung von Übergewicht. Der Hersteller ist Novo Nordisk.
Für die Anwendung als Abnehmspritze sind zur Zeit nur drei Arzneimittel zugelassen: Wegovy, Saxenda und Mounjaro. Ozempic ist die wohl bekannteste Arznei, ist allerdings nur für die Behandlung von Diabetes Typ 2 zugelassen.
Hinweis
Die Anwendung der Spritze durch Menschen ohne Diabetes Typ 2 zur Gewichtsabnahme hat 2023 zu einem Engpass bei Ozempic geführt, der für Menschen mit Diabetes Typ 2 zu einer schwierigen Situation geführt hat, da sie auf das Medikament angewiesen sind. Dies gilt auch für Victoza. Daher sollten diese Spritzen nicht für die Gewichtsabnahme eingesetzt werden. Hier finden Sie einen Beitrag dazu in der ARD Mediathek und hier finden Sie einen Beitrag von Strg-f zum Engpass bei Ozempic. Durch den Engpass bei Ozempic ist auch gefälschtes Ozempic im Umlauf. Statt Semaglutid können diese Pens Insulin enthalten was bei der Anwendung zu einem lebensbedrohlichen Abfall des Blutzuckerspiegels führen kann. Strg-f hat auch hierzu eine Reportage gedreht, die hier zu sehen ist.
Zur Zeit haben die Produkte Wegovy, Saxenda und Mounjaro ähnliche Preise. Eine Monatspackung kostet zwischen 170 € und 320 € je nach Dosierung und muss selbst gezahlt werden. Sie benötigen allerdings ein Rezept vom Arzt um Abnehmspritzen kaufen zu können. Abnehmspritzen dürfen außerdem nur Menschen mit Adipositas (BMI > 30) oder Menschen mit Übergewicht (BMI > 27) und mindestens einer gewichtsbedingten Krankheit verschrieben werden. Medikamente zur "Abmagerung, Appetitzügelung oder Regulierung des Körpergewichts" werden in Deutschland nicht von den gesetzlichen Krankenkassen übernommen, da sie als Lifestyle-Produkte gelten. In anderen Ländern ist dies möglich. In Großbritannien z.B. können Patienten mit Adipositas sich die Kosten durch den NHS erstatten lassen.
Für die Kosten für eine Behandlung über ein Jahr mit einer Abnehmspritze müssen Sie mit 2000 € bis 3500 € rechnen.
Wie bei allen Arzneimitteln, können auch bei der Anwendung von Abnehmspritzen verschiedene Nebenwirkungen auftreten.
MedDRA Systemorganklasse | Sehr häufig | Häufig | Gelegentlich | Selten |
---|---|---|---|---|
Erkrankungen des Immunsystems | Anaphylaktische Reaktion | |||
Stoffwechsel- und Ernährungsstörungen | Hypoglykämie bei Patienten mit Diabetes mellitus Typ 2a | |||
Erkrankungen des Nervensystems | Kopfschmerzena | Schwindela | ||
Augenerkrankungen | Diabetische Retinopathie bei Patienten mit Diabetes mellitus Typ 2a | |||
Herzerkrankungen | Hypotonie, Orthostatische Hypotonie, Erhöhte Herzfrequenz | |||
Erkrankungen des Gastrointestinaltrakts | Übelkeita, Erbrechena, Durchfalla, Obstipationa, Abdominalschmerzena | Dyspepsiea, Gastritisa, Gastroösophagealea, Refluxkrankheita, Eruktationa, Oberbauchschmerzena, Flatulenza, Abdominelles Spannungsgefühla | Akute Pankreatitis, Verzögerte Magenentleerung | |
Leber- und Gallenerkrankungen | Cholelithiasis | |||
Erkrankungen der Haut und des Unterhautgewebes | Haarausfall | Angiödem | Allgemeine Erkrankungen und Beschwerden am Verabreichungsort | Erschöpfunga | Reaktionen an der Injektionsstelle Asthenie | Unwohlsein |
Untersuchungen | Erhöhte Amylase, Erhöhte Lipase |
a: insbesondere während der Dosiseskalation beobachtet
Die Häufigkeiten sind wie folgt definiert: Sehr häufig (≥ 1/10); häufig (≥ 1/100, < 1/10); gelegentlich (≥ 1/1.000, < 1/100); selten (≥ 1/10.000, < 1/1.000) oder sehr selten (< 1/10.000).
MedDRA Systemorganklasse | Sehr häufig | Häufig | Gelegentlich | Selten |
---|---|---|---|---|
Erkrankungen des Immunsystems | Anaphylaktische Reaktion | |||
Stoffwechsel- und Ernährungsstörungen | Hypoglykämie | Dehydrierung | ||
Psychiatrische Erkrankungen | Schlaflosigkeita | |||
Erkrankungen des Nervensystems | Kopfschmerzen | Schwindel, Geschmacksstörungen | ||
Herzerkrankungen | Tachykardie | |||
Erkrankungen des Gastrointestinaltrakts | Übelkeit, Erbrechen, Durchfall, Obstipation | Mundtrockenheit Dyspepsie Gastritis Gastroösophageale Refluxkrankheit Oberbauchschmerzen Flatulenz Aufstoßen Abdominelles Spannungsgefühl | Pankreatitis, Verzögerte Magenentleerung | |
Leber- und Gallenerkrankungen | Cholelithiasis | Cholezystitis | ||
Erkrankungen der Haut und des Unterhautgewebes | Ausschlag | Urtikaria | ||
Erkrankungen der Nieren und Harnwege | Akutes Nierenversagen, Beeinträchtigung der Nierenfunktion | |||
Allgemeine Erkrankungen und Beschwerden am Verabreichungsort | Reaktionen an der Injektionsstelle, Asthenie, Erschöpfung | Unwohlsein | ||
Untersuchungen | Erhöhte Lipase, Erhöhte Amylase |
a: Schlaflosigkeit wurde hauptsächlich während der ersten 3 Behandlungsmonate beobachtet.
Die Häufigkeiten sind wie folgt definiert: Sehr häufig (≥ 1/10); häufig (≥ 1/100, < 1/10); gelegentlich (≥ 1/1.000, < 1/100); selten (≥ 1/10.000, < 1/1.000) oder sehr selten (< 1/10.000).
MedDRA Systemorganklasse | Sehr häufig | Häufig | Gelegentlich | Selten |
---|---|---|---|---|
Erkrankungen des Immunsystems | Überempfindlichkeitsreaktionen | Anaphylaktische Reaktion, Angioödem | ||
Stoffwechsel- und Ernährungsstörungen | Hypoglykämiea bei Anwendung mit Sulfonylharnstoffen oder Insulin | Hypoglykämiea bei Anwendung mit Metformin und SGLT2- Inhibitoren, verminderter Appetita | Hypoglykämiea bei Anwendung mit Metformin, Gewichtsverlusta | |
Erkrankungen des Nervensystems | Schwindelb | |||
Gefäßerkrankungen | Hypotonieb | |||
Erkrankungen des Gastrointestinaltrakts | Übelkeit Durchfall | Bauchschmerzen, Erbrechen, Dyspepsie, Verstopfung, Blähungen, Aufstoßen, Flatulenz, gastroösophageale Refluxkrankheit | Cholelithiasis, Cholezystitis, akute Pankreatitis | Erkrankungen der Haut und des Unterhautgewebes | Haarausfallb |
Allgemeine Erkrankungen und Beschwerden am Verabreichungsort | Fatigue (Müdigkeit, Asthenie, Unwohlsein und Lethargie), Reaktionen an der Injektionsstelle | Schmerzen an der Injektionsstelle | ||
Untersuchungen | erhöhte Herzfrequenz, erhöhte Lipase- und Amylasewerte | erhöhter Calcitoninwert |
a: Nebenwirkung, die nur auf die Patienten mit Typ-2-Diabetes mellitus (T2DM) zutrifft.
b: Nebenwirkung, die hauptsächlich auf Patienten mit Übergewicht oder Adipositas mit oder ohne T2DM zutrifft.
Die Häufigkeiten sind wie folgt definiert: Sehr häufig (≥ 1/10); häufig (≥ 1/100, < 1/10); gelegentlich (≥ 1/1.000, < 1/100); selten (≥ 1/10.000, < 1/1.000) oder sehr selten (< 1/10.000).
Abnehmspritzen funktionieren bei vielen Menschen sehr gut um schnell Gewicht abzunehmen. Insbesondere bei hohem Übergewicht, sind die Abnehmspritzen sehr effektiv, da der Verlust von Körpergewicht prozentual ist.
Leicht übergewichtige Personen sollten daher nicht zu Abnehmspritzen greifen. Bei starkem Übergewicht kann eine Abnehmspritze der Schlüssel zu einer signifikanten Gewichtsabnahme sein. Allerdings muss Ihnen bewusst sein, dass die Anwendung, so wie bei allen anderen Arzneimitteln, auch mit Nebenwirkungen verbunden sind. Außerdem ist die Behandlung auch nicht billig und kann zwischen 2300 € und 3500 € für ein Jahr kosten für das sie mit einem Gewichtsverlust von bis zu 15% ihres Körpergewichtes rechnen können (z.B. 15 kg bei einem Gewicht von 100 kg). Allerdings sollten Sie auch die Zeit nutzen, um ihre Ernährungsgewohnheiten anzupassen und sich mehr zu bewegen. Nur durch eine Ernährungsumstellung können Sie ihr Wunschgewicht auch langfristig halten, da nach dem Absetzen der Spritze sonst ein starker Jojo-Effekt eintritt und sie das Gewicht wieder zunehmen. Machen Sie dafür eine Ernährungsberatung mit eine:r professionelle:n Berater:in aus, die sie auch hier auf Koawi finden können. Lassen Sie sich auch von ihrem Arzt beraten, der Ihnen anschließend ein Rezept für eine Abnehmspritze sowie eine ärztliche Notwendigkeitsbescheinigung für Ernährungsberatung ausstellen kann. Im Unterschied zu den Abnehmspritzen erstatten die meisten Krankenkassen ihnen die Kosten für Ernährungsberatung.
Vor allem, wenn eine Essstörung zusammen mit Adipositas auftritt, können interdisziplinäre ambulante Therapieangebote, die Verhaltenstherapie und Psychotherapie einschließen, oder stationäre psychosomatisch-psychotherapeutische Programme in Kliniken entscheidend für die Behandlung und Verbesserung der Erkrankung sein. Der Bundesfachverband Essstörungen bietet eine Übersicht über verschiedene Hilfsangebote. Darüber hinaus gibt es zahlreiche Selbsthilfegruppen und Unterstützungsangebote, an die sich Betroffene wenden können, wie beispielsweise die AdipositasHilfe Deutschland e. V. oder den Adipositasverband Deutschland e. V.